Rütteln am Käfig

Woher nur kommt all der Hass auf die gegnerische Mannschaft im Fußball?

Die Primaten in den Tierreportagen führen sich meistens gesitteter auf.
Die Primaten in den Tierreportagen führen sich meistens gesitteter auf.

Es muss so im Alter von 12 oder 13 Jahren gewesen sein, als ich mich vor Fußballfans zu ekeln begann. Ich hatte die Karten gewonnen. Hertha BSC gegen einen anderen Verein. Es war Mitte der 90er. Auf der Rückfahrt sangen die Fans in der S-Bahn irgendwas über das gegnerische Team, das man wie Mädchen behandeln solle. Es waren sexuelle Gewaltfantasien. Ich war noch ein Kind. Alle sprangen auf und ab, grölten vom Bahnhof Olympiastadion bis zur Friedrichstraße, wo ich mit meinen Freundinnen umsteigen musste. Die S-Bahn wackelte gewaltig von so vielen hüpfenden Männern. So waren sie halt, die 90er.

Es ist egal, ob es Hertha-Fans oder die eines anderen Vereins gewesen sind. Auch im Stadion an der Alten Försterei bei Union Berlin stand ich, die als Jugendmitglied in den 90ern zur zweiten Halbzeit noch kostenlos ins Stadion kam, und musste mir das Gleiche anhören. Das N-Wort flog pausenlos über die Ränge aufs Spielfeld, wenn ein nichtweißer Spieler der gegnerischen Mannschaft einen Unioner foulte. Der Schiedsrichter war grundsätzlich (wie Frauen Fotzen waren) ein Jude. So waren sie halt, die 90er. Konnte Mann nichts machen.

Heutzutage höre ich so etwas nur noch sehr selten im Stadion. Manchmal sagt sogar ein Mutiger was dagegen. Meistens wird man dann retour als Weichei aus Prenzlauer Berg beschimpft. Geschenkt. Der Hass auf die gegnerische Mannschaft ist wichtig, identitätsstiftend. Ich weiß.

Fans können zu anderen Fans aber auch sehr freundlich, nahezu liebevoll sein. Als uns einmal auf der Rückfahrt vom Stadion das Bier ausging, schenkten uns Anhänger des VfL Bochum einen Sechser Moritz Fiege, dabei hatten sie sogar verloren.

Trotzdem werde ich nie dieses Verlangen verstehen, die andere Mannschaft möglichst grobschlächtig zu erniedrigen. Wenn Fans im Gästeblock an den Absperrzäunen zerren, mit ihren weit aufgerissenen Augen und den geifernden Mündern Gesten in Richtung Heimmannschaft machen, die provozieren sollen, sich ordentlich auf die Schnauze zu hauen, erinnert mich das an wild gewordene Primaten aus den Tierreportagen im Fernsehen.

Ich verstehe es einfach nicht. Hooligan-Kultur und Sigmund Freud my ass. Ich weiß, dass es darum geht, in einem komplett durchregulierten Leben endlich mal die Kontrolle am Eingang abzugeben, mal richtig arschig abzukotzen, während man sonst überall Bitte/Danke sagen muss.

Ich aber empfinde für die Mannschaft des anderen Vereins meistens Gleichgültigkeit. Wenn bei Union Berlin im Stadion die Aufstellung des gegnerischen Teams angesagt wird, wird jeder Name von den Fans mit einem »Na und« quittiert. Das ist für mich Ausdruck des maximalen Hasses auf die anderen, zu dem ich fähig bin. Für mich als Kind war Fußball ein Leistungssport, selbst für Mädchen. Obwohl klar war, dass keine von uns damit je erfolgreich sein oder Geld verdienen würde. Der Gegner war Gegenstand von Analysen, kein Hassobjekt.

Vielleicht hat es damit zu tun. Vielleicht auch damit, dass es Männern (ich habe noch nie Frauen am Zaun rütteln sehen) nach wie vor schwerfällt, Emotionen zu verarbeiten, und beim Fußball wird man dazu mit jeder unvorhersehbaren Szene gezwungen. Ich beruhige mich damit, zu glauben, dass er also so etwas wie eine Verhaltenstherapie für emotional Versehrte ist.

Beim letzten Heimspiel der Frauen von Union Berlin gegen den FSV Gütersloh, das sie 6:0 gewannen, sangen die Union-Fans am Ende aufbauende Chöre für die Verliererinnen, die auch noch abgestiegen sind. Das wiederum war dann selbst mir zu viel. Ich dachte nur: Na und.

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